Die Hagensteinroute im Nationalpark Kellerwald-Edersee ist eine der offiziell ausgewiesenen Wanderouten im Nationalpark. Sie beginnt und endet in Kirchlotheim bzw. am nördlich des Dorfes gelegenen Nationalparkzentrum.
Die Hagenstein-Route ist der nordwestlichste und einer der kürzesten offiziell ausgewiesenen Rundwanderwege im Nationalpark. Er verläuft zudem nur etwa zur Hälfte innerhalb der Nationalparkgrenzen. Die Route weist vom Nationalparkzentrum bzw. dem Ort Kirchlotheim auf ca. 250 m ü. NHN bis zum höchsten Punkt auf 412 m ü. NHN nur einen leichten Höhenunterschied auf. Der Weg verläuft - gegen den Uhrzeigersinn gewandert - bis zum Hagenstein weitgehend parallel und nur wenig oberhalb der Bundesstraße 252 auf alten, z.B. zurückgebauten bzw. verwilderten Fortwirtschaftswegen bis zum Hagenstein, wendet sich von dort nach Nordosten bis zur "Wannewiese", wo sich an einer wiesenartigen Lichtung mehrere Wanderwege kreuzen. Von hier kann man abkürzend entweder den nur mit festen Schuhwerk begehbaren Brückengrundsteig wählen oder eine nördliche Schleife zurück zum Ausgangspunkt nehmen, die jedoch weitgehend auf befestigten Feldwegen außerhalb des Nationalparks durch Wiesen und Felder verläuft.
In der offiziellen Broschüre des Nationalparkamtes "Hagenstein-Route - auf Schatzsuche" heißt es über den Wanderweg: [1]
"Die Hagenstein-Route gehört zu den faszinierensten Wanderwegen im Nationalpark. Sie führt zu den Schätzen der Wildnis, zu den Felsen und Blockhalden mit bizarrem Leben und in die werdende Wildnis." (S. 12) [...] "Folgen Sie dem Symbol des Großblütigen Fingerhuts entlang der Ederhänge an dem idylischen Dorf Kirchlotheim vorbei. Die Kirchturmspitze ist kaum aus dem Blick, da verschwindet der Pfad in diurch lichten Wald. Knorrige Eichen und Buchen kämpfen auf felsigem Grund mit Trockenheit und Kargheit, Hitze und Kälte. Graslilie, Felsenmispel und Schwalbenwurtz vervollständigen das südliche anmutetende Ensemble. Der Hagenstein zählt zu den Schätzen des Nationalparks. Von seinem markanten Felsvorsprung aus genießen Sie einen atemberaubenden Blick in das Tal der oberen Eder." (S. 3).
Nur wenige Wanderer dürften sich diesem überschwänglichen Urteil anschließen wollen. Die Hagenstein-Route beginnt alternativ am Nationalparkzentrum nördlich von Kirchlotheim oder direkt am Dorfrand. Den Besuch des Nationalparkzentrums sollte man sich der naturliebende Wanderer sparen. Der Informationswert der in diesem modernen Betonbau vorgehaltenen, z.T. kostenpflichtigen Ausstellungen und medialen Vorführungen ist äußerst gering. Angeschlossen sind ein Restaurant, ein großflächiger Parkplatz sowie ein "Wildniserlebnisgelände". Letzteres ist extrem einfach strukturiert und eher für Erwachsene und Kinder konzipiert, die sich nie oder selten in der Natur bewegen. Dementsprechend findet sich im und um das Nationalparkzentrum mehrheitlich oftmals ein Publikum, welches der die Natur und die Einsamkeit suchende Wanderer gerne meidet. Das Nationalparkzentrum findet sich außerhalb der Grenzen des Nationalparks, so daß der Wanderer die ersten rund 700 Meter bis zum eigentlichen Einstieg in die Hagenstein-Route auf überwiegend asphaltierten Feldwegen bis Kirchlotheim zurücklegen muß.
Die Hagenstein-Route verläuft ganz überwiegend in Sicht-, aber vor allem in Hörweite der sehr stark befahrenen Bundesstraße 252. So sind laute Motorengeräusche, vor allem von Motorradfahrern, ständiger Begleiter auf der Route. Die hämmernden Motoren- und Auspuffgeräusche, insbesondere von "Choppern", dringen im Sommerhalbjahr fortwährend tief in den Wald hinein. Der westliche Teil des Rundwegs zum Hagenstein hinauf bzw. von diesem herab, verläuft zum Teil nur 100 Meter Luftlinie oberhalb der Bundesstraße, so daß statt Vogelgesang und Bachgeplätscher Motoren- und Fahrtgeräusche vorherrschen. Nicht zuletzt macht sich die 2015 reaktivierte Bahnstrecke durch das Edertal mit hupenden bzw. pfeifenden Warnsignalen der Züge bemerkbar. Von der nahe gelegenenen Camping- und Freizeitanlage "Teichmann" dröhnt nicht selten laute Musik und Gegröhle durch das Tal. Die Hagenstein-Route verläuft maximal 1.000 Meter Luftlinie von der B 252 entfernt, so daß Motorengeräusche fast auf der gesamten Strecke störend wahrzunehmend sind.
Da Kirchlotheim unmittelbar an der B 252 liegt, erscheint das Dorf wenig idyllisch. Der Weg verliert sich weder sofort in eine "bizarre Welt der Bäume" noch windet er sich um "quellige Kerbtäler", sondern verläuft zunächst durch einen wenig naturnahen Mischwald. Der angeblich "atemberaubende" Blick vom Hagenstein durch das obere Edertal ist dementsprechend vor allem ein Blick auf die Verkehrswege, unterscheidet sich aber ohnehin nicht von den Aussichten, die man von vielen anderen erhöhten Standpunkten im Edertal oder ähnlicher Mittelgebirgslandschaften kennt. Der östliche Teil der Hagenstein-Route ist sogar für Rollstuhlfahrer ausgewiesen und präsentiert sich dementsprechend als weitgehend ebener und mit Kies befestigter Spazierweg. Weshalb auch dieses Teilstück dem "Urwaldsteig" und "Kellerwaldsteig" zugeordnet ist, erschließt sich nicht. Weder verläuft der Weg durch Urwald bzw. Urwaldrelikte, sondern durch einen wenig spektakulären Mischwald, noch ist die rollstuhlgerechte und auch für Radfahrer freigegebene Route als "Steig" zu bezeichnen. Hinzu tritt, daß der östlichste und am weitestens von der Bundestraße entfernte Punkt der Hagensteinroute durch den Parkplatz "Himmelsbreite" an das Verkehrswegenetz angeschlossen ist, so daß Wanderer- und Radfahrer auch von hier in den Wanderweg "einsteigen" können. Infolgedessen gehört die Hagenstein-Route in erster Linie zu den "verkehrsreichsten" Wanderwegen, beliebt auch bei älteren Leuten, Familien mit Kindern und Radfahrern, mithin nicht geeignet für Wanderer, die vor allem Ruhe und Einsamkeit suchen oder auf Wildsichtungen hoffen.
Eine Ausnahme bildet der den Rundweg der Hagenstein-Route quer von West nach Ost durchschneidende "Brückengrundsteig". Er führt über einen schmalen, zum Teil steil abfallenden bzw. ansteigenden, dicht bewachsenen Fußpfad mit streckenweise durchaus alpinem Charakter durch ein kleines Waldbachtal. Für diesen Teilabschnitt ist festes Schuhwerk dringend zu empfehlen. Entgegen dem Eindruck, der in der offiziellen Broschüre vermittelt wird, handelt es sich übrigens um den einzigen Bach auf der Hagenstein-Route, der aber lediglich ein unbenanntes Rinnsal ist, von der Quelle bis zur Mündung kaum 500 Meter lang. In diesem ehemals vor allem mit Fichten besetzen Tal hat Windwurf zu einem sehr hohen Totholzanteil geführt. Die frei gewordenen Flächen haben sich dichte Brombeerhecken, Fingerhut, junge Fichten und Laubbäume erobert und bilden derzeit ein abseits des Pfades undurchdringliches Unterholz, das vor allem von Waldameisen und zahlreichen anderen Insekten bevölkert ist. Dieser durchaus sehenswerte und von Motorgeräuschen am wenigsten beeinträchtigte Talabschnitt ist leider nur wenige hundert Meter lang und dementsprechend schnell durchwandert.
Der als spektakulärer "Naturschatz" beworbene Teil der Hagenstein-Route entlang des westlichen Steilhangs zur Eder mit seinen knorrigen Eichen und Buchen macht kaum 300 Meter der etwa 5,6 Kilometer langen Route aus. Von dem ausgewiesenen Pfad sind die spektakulärsten Baumexemplare, wie sie auf Fotos als charakteristisch für die Route beworben werden, nicht einsehbar. Der nördliche Teil der Hagensteinroute führt überwiegend außerhalb der Nationalparkgrenzen über befestigte Wege durch Wiesen und Felder zurück nach Kirchlotheim.
Fazit:
Die Hagenstein-Route kann die vollmundigen Versprechen aus der offiziellen Broschüre und den an den Einstiegen aufgestellten Schautafeln nicht erfüllen. Bei allem Verständnis dafür, daß jede Gemeinde aus touristischen Gründen versucht, ihren Teil des Nationalparks als besonders attraktiv darzustellen, dürften die meisten Wanderer von der Hagenstein-Route enttäuscht sein, sich vielleicht sogar getäuscht fühlen. Von allen offiziell ausgewiesenen Routen, die durch den Nationalpark führen, dürfte die Hagenstein-Route - mit Ausnahme des kurzen Abschnitts des Brückengrundsteigs - der unattraktivste, naturfernste und lauteste Wanderweg im Nationalpark sein. Aus botanischer Sicht finden sich hier durchaus einige "Schätze", der Schau- und Erholungswert für den Wanderer ist aufgrund der hohen Lärmbelastung, des relativ hohen Besucherdrucks und der wenig attraktiven Wege jedoch eher gering.
[1] HESSEN-FORST/Nationalparkamt Kellerwald Edersee (Hrsg.), Wandern im Nationalpark - Hagensteinroute - auf Schatzsuche, 4. Auflage, September 2014.