Der Schatz im Brunnen der Itterburg (Sage)

"Der Schatz im Brunnen der Itterburg" ist eine Sage aus Nordhessen.

Inhalt

Die Sage wurde von dem Korbacher Stadtarchivar, Reichsbahninspektor i.R. Christian Paul (* 26.11.1875 in Thalitter; † 04.09.1939 in Korbach), aufgezeichnet und hat nach ihm den folgenden Wortlaut: [1]

"Es ist im beginnenden Frühling des Jahres 1357. Kunigund, die schöne Tochter Heinemanns III. von Itter, weilt im Burggarten der Itterburg und erfreut sich an den Schneeglöckchen, die, kaum vom Schnee befreit, ihre Köpfchen aus der Erde strecken und an den schönen Kätzchen des Haselstrauches, dem man auch ein Plätzchen in dem kleinen Garten gegönnt hat. Überall sprießt es. Leberblümchen und Veilchen gucken auch schon, und die Sonne gibt sich alle Mühe, Blumen und Knospen aus dem langen Winterschlaf zu erwecken.

Eine rechte Freude zieht in Kunigundes Herz. Den langen Winter hat sie auf der einsamen Itterburg verbracht. Wohl kam öfters als ihr lieb war ihr Vetter Adolf von der Oberburg zu Besuch. Sie weiß auch, daß ihr die Besuche gelten. Jedoch mag sie ihren Vettern nicht leiden; denn er ist ein jähzorniger und roher Mensch, dem es, wie sie mit Recht vermutet, nur darum zu tun ist, die im Jahre 1350 zwischen den beiden Brüdern Heinemann und Adolf, der auf der Obernburg seinen Sitz hat, geteilte Herrschaft Itter ganz in seine Hand zu bringen. Dieses kann aber nur geschehen, wenn er seine Base, die schöne Kunigunde, ehelicht. Nicht nur Kunigund, sondern auch ihre Eltern sind gegen eine solche Verbindung. Und schon öfters hat Adolf erbost die Itterburg verlassen, wenn seinen dringenden Werbungen kein Gehör geschenkt worden war.

Seit Lichtmeß ist Adolf, zur Genugtuung von Kunigund, nicht auf der Itterburg gewesen. Ob er nun wohl von seinen Werbungen abläßt? Kundigung hat seither jeden Sonntag dem Altar in der Kapelle am Berghang gegenüber der Burg, die dem hl. Bartholomäus geweiht ist, und an deren Stelle jetzt die Bergkirche zu Thalitter steht, eine Wachskerze geweiht. Als ihr Bruder Heinrich noch lebte, ließ sich Adolf nicht sehen; denn der mochte ihn auch nicht leiden, und damals war Kunigund auch noch nicht die Erbin von der Itterburg und der halben Herrschaft. Hört man nicht Hufschlag? Ja, wirklich! Der Vater kann es nicht sein; denn der ist nach mehrtägiger Abwesenheit erst vor einer Stunde von einem Besuch der befreundeten Ritter von Schweinsberg, von Löwenstein und von Westerburg, mit denen er Ganerbschaftsverträge abschlossen hat, zurückgekommen. Stimmen schlagen an Kunigundes Ohr. Sie erkennt jetzt die Stimme ihres Vetters Adolf, der dem Torwart den Auftrag gibt, das Burgtor zu öffnen. Was wird er wollen? Wird er abermals seine Werbung vorbringen? Die Freude an dem schönen Frühlingstag ist bei Kunigund verschwunden. Nie wird sie Adolfs Frau werden.

Sinnend steht Kunigund und schaut über das Bergland nach Westen. Denkt sie schon an die schönen Stunden, die sie im letzten Sommer auf Schloß Nordena bei ihres Vaters Schwester Irmgard, der Gemahlin von Johann von Grafschaft, verlebt hat, wo sie an einem jungen Ritter gefallen fand? Ihr Vetter Adolf ist inzwischen in das Gemach seines Oheims getreten, um seine Werbung nochmals vorzubringen. Heute will er Gewißheit haben. Kunigund und die Herrschaft Itter müssen sein werden. Mit schroffen Worten fordert er von seinem Oheim die Hand Kunigunds, der ihm zur Antwort gibt, daß er seine Tochter nicht zwingen wird, einen ungeliebten Mann zu ehelichen, vor allem aber keinen Mann, der durch seinen Lebenswandel das Recht verscherzt hat, sich Ritter zu nennen. In größter Wut ergreift Adolf seinen Dolch und stößt ihn seinem Oheim in die Brust, der sterbend zusammenbricht.

Als Adolf sieht, was er angerichtet hat, stürzt er zu seinem Roß und stürmt in wilder Hast von dannen. Nichts Gutes ahnend, eilt Kunigund in das Gemach ihres Vaters. Sie findet ihn sterbend, und er kann nur berichten, daß Adolf sein Mörder ist. Entsetzen erfaßt sie über die ruchlose Tat. Boten werden ausgesandt, um den Mord zu verkünden und den Mörder zu fangen.

Jetzt ist für die Nachbar der Augenblick zum Eingreifen gekommen; denn schon lange warten sie, die Herrschaft Itter ihrem Gebiet einzuverleiben. Hessen und das Erzstift Mainz schicken Kriegsvolk, um die Itterburg und das Gebiet der Herrn von Itter zu besetzen. Treu halten die Mannen der Itterburg zu Frau Magarethe, welche die Burg zur Verteidigung einrichten läßt. Sie wird nun regelrecht belagert.

Mauerbrecher und Steigleitern werden von den Belagerern angesetzt. Feuerbrände fliegen auf die Dächer der Burg und fallen zu Dutzenden hinab auf den Burghof. Endlich zündet einer. Die Verteidiger der Burg, die von Mauer und Turm Steine, Balken und Bolzen auf die Anstürmenden werfen und sie mit Pech und heißem Wasser begießen, versuchen, den Brand zu löschen. Dadurch gelingt es den Mainzer Söldnern, das Burgtor zu rammen und einzudringen. Margarethe und Kunigund haben ihre Kostbarkeiten zusammengerafft, um sie in ein Versteck zu bringen. Aber schon stürmen die Knechte des Erzstifts mit großen Geschrei in den Burghof. Kunigund wird von einem Söldner ergriffen. Sie reißt sich los und wirft das Kästchen mit Geschmeide und Kostbarkeiten, welche sie bergen wollte, in den tiefen Burgbrunnen. Die Besatzung der Itterburg kann gegen die Übermacht nicht aufkommen und muß sich ergeben.

Hessen und Mainz verständigen sich, sie teilen die Beute. Margarethe und Kunigund entsagen notgedrungen ihren Rechten an der Itterburg und der Herrschaft Itter und erhalten als Abfindung von Hessen und dem Erstift Mainz je 900 Mark lötigen Silbers und außerdem 50 Gulden für den Schaden an Hausgerät, den sie bei der Belagerung der Burg erlitten haben.

Heinemann III. erhielt im Kloster Schaaken seine letzte Ruhestätte. Sein Mörder wurde ergriffen und zur Strafe in das Kloster Haina gesperrt. Adolfs Vater starb kurz nach der Tat seines Sohnes. Die Oberburg wurde dem Erdboden gleichgemacht. Margarethe von Itter ging später eine zweite Ehe mit dem Grafen Otto II. von Waldeck ein. Was aus Kunigunde geworden ist, weiß der Chronist nicht zu berichten.

Die Sage von einem Schatz im Brunnen der Itterburg hat sich jahrhundertelang erhalten. Sie war auch zu Ohren des Jägermeisters Moser zu Biedenkopf gekommen, der im Jahre 1770 dem Landgrafen Ludwig von Hessen-Darmstadt von ihr berichtete und vorschlug, durch Bergleute vom Itterschen Kupferbergwerk den Brunnen untersuchen zu lassen und etwa 50 Gulden dazu aufzuwenden. Landgraf Ludwig ließ antworten, solch eine Sage verdiene in der Regel zwar keine ‚Attention', jedoch könne immerhin an der Sache etwas sein und so solle ihr nachgegangen werden. Die Arbeit der Bergleute verlief aber ergebnislos, und so ruht der Schatz der Herrn von Itter noch immer im Brunnen der Itterburg."

Hintergrund

Die stark ausgeschmückte Fassung der Sage dürfte nicht der Volksüberlieferung entsprechen, sondern auf Christian Paul zurückgehen. Soweit ersichtlich, wurde sie von ihm erstmals in dieser Form im Waldeckischen Landeskalender von 1932 veröffentlicht. Frühere Druckfassungen sind nicht bekannt. Insbesondere enthalten weder Ludwig Curtzes "Volksüberlieferungen aus dem Fürstenthum Waldeck" noch Marie Schmalz' "Sagen aus der waldeckischen Heimat" die Sage. Zwar gehörte die Herrschaft Itter nicht zum Fürstentum Waldeck, die vorgenannten Bücher enthalten jedoch auch Erzählungen aus den benachbarten Gebieten.

Die Fassung von Paul scheint mehr an die historischen Fakten als an die Volkssage angelehnt zu sein. Dies betrifft insbesondere die Namen der Beteiligten, die der historischen Überlieferung nicht bekannt sind und die erst von der historischen Wissenschaft erschlossen wurden. [2] Ebenso entspricht zwar der erwähnte Vertrag mit den Herren von Löwenstein über das Löwensteiner Haus aus dem Jahr 1355 der historischen Überlieferung, [3] Bestandteil der Volkssage dürfte dieses Detail jedoch nicht gewesen sein.

Anmerkungen

[1] Zitiert nach Wilhelm HELLWIG, Sagen und Geschichten aus Korbach und Umgebung, 4. Auflage, Korbach 1999, S. 77-80; in dieser Fassung auch veröffentlicht auch im Waldeckischen Landeskalender 1932, 95 und in "Mein Waldeck", Beilage der Waldeckischen Landeszeitung für Heimatfreunde, 1988, Nr. 3. Zu dem Autor Christian Paul vgl. Wolfgang MEDDING, Korbach - Die Geschichte einer deutschen Stadt, 2. Auflage, Korbach 1980, S. 386. Eine Neuerzählung der Sage erschien von Ursula WOLKERS in: "Mein Waldeck", Beilage der Waldeckischen Landeszeitung für Heimatfreunde, 2001, Nr. 11.
[2] Vgl. Johann Adam KOPP, Kurze historische Nachrichten von den Herren zu Itter, herausgegeben von Carl Philipp Kopp, Marburg 1751, S. 129-135.
[3] Urkunde abgedruckt bei KOPP (wie Anm. 2), S. 147 und Friedrich SCHUNDER, Die von Loewenstein, Geschichte einer hessischen Familie, Band 2, Lübeck 1955, Regesten und Urkunden 1160-1539, S. 102, Regest 215.