Das sogenannte Spukhaus ist ein um 1300 errichtes Speicherhaus in der Enser Straße 7 in der Altstadt von Korbach. [1] Es handelt sich wahrscheinlich um das älteste vollständig erhaltene Haus der Stadt. Der Name bezieht sich auf die Sage Das Spukhaus zu Corbach. [1a]
Das Spukhaus ist eines von ursprünglich mindestens sechs Steinkammern der Stadt, die im 14. Jahrhundert als feuerfeste und einbruchssichere Lagerhäuser für die Waren der Kaufleute errichtet worden sind. Vier dieser Häuser sind erhalten geblieben (Enser Straße 7, Kirchstraße 18a, Violinenstraße 3, Kirchplatz 2). Von zwei weiteren (obere Violinenstraße und Tränkestraße) sind lediglich Nachrichten überliefert.
Das Haus gehörte wahrscheinlich ursprünglich der Stadt oder der Kaufmannsgilde, später den jeweiligen Eigentümern des angrenzenden Fachwerkhauses Enser Straße 7 (siehe dort).
Als die Familie Wille, der das Fachwerkhaus Nr. 7 und die Steinkammer mehr als 120 Jahre lang gehört hatte, in den 1950er Jahren ihre Landwirtschaft in die Feldmark aussiedelte, übernahm die Stadt Korbach die Gebäude. Das Steinhaus wird heute vom Verein Freilichtbühne als Treffpunkt, Nähstube und Lager für den umfangreichen Fundus genutzt. [2]
Von einem seltsamen Bewohner des Steinhauses berichtet die Corbacher Zeitung am 10. Januar 1893: [3]
"Ein Sonderling eigener Art, ein zufriedener Arbeiter, ist dahier vor 14 Tagen zur letzten Ruhe eingegangen. Christian Heine, auch "Blumenchrist" genannt, bewohnte seit etwa 25 Jahren den Keller des in der Enser Straße gelegenen Steinhauses, ein Überbleibsel vergangener Herrlichkeit. Alle Bemühungen der Behörden, ihn in ein Hospital zu bringen, waren vergeblich. Er hatte weder Herd noch Ofen. Seine Speisen bereitete er sich mitten im Keller selbst und trug das Holz dazu auf seinen Rücken aus den Wäldern auch selbst herbei. Er kaufte nur alte Kleider, machte erst einige Löcher darein und trug erst dann dieselben. In den letzten Jahren besuchte unser Sonderling die Kirche nicht mehr, dagegen sang und betete er, sobald die Kirchenglocken ausgeklungen, in seiner Wohnung. Abends um 6 Uhr legte er sich zu Bette und stand schon 3 Uhr morgens auf. Alsdann wurde bei Melchersteich Waschwasser und beim Marktbrunnen Kaffeewasser geholt. In seinem Nachlasse befindet sich ein großer Wagen voll Bücher aus allen Zweigen der Wissenschaft, ebenso ein großer Haufen Zeitungspapier. Dieser zufriedene Mensch, der letzte Sonderling Corbachs, ist im Alter von 83 Jahren gestorben."
Christian Heine (* 29.03.1809, † 16.12.1892), genannt "das Blümeken", soll jeden Morgen ins Dalwigker Holz gegangen sein, um hier sein vergrabenes Geld zu suchen. Gute Freunde sollen ihm in den Revolutionsjahren (1848/49) dazu geraten und das Geld dann fortgenommen haben. [4] Er war ein Sohn des Franz Heine und der Marie Juliane Elisabeth Rhode (Kirchplatz 6 und Katthagen 4).
Im Brandkassenregister von 1784, Nr. 1, ist die Größe der Steinkammer mit 30 x 23 Fuß angegeben, ihr Brandkassenwert mit nur 50 Talern bemessen. Südlich an die Steinkammer angrenzend befand sich noch eine Fachwerkscheune, 55 x 36 Fuß groß, Wert 100 Taler. Sie wurde im Jahr 1789 abgerissen und durch eine neue Scheune ersetzt. Heute befindet sich an dieser Stelle ein Kalksteinanbau (ca. 12 x 10 Meter), Baujahr unbekannt. Auf alten Lichtbildern, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gefertigt worden sind (s.u. Fotogalerie), ist zu erkennen, daß dieser rückwärtige Anbau ursprünglich ein Fachwerkbau war und die Außenmauern erst nach und nach durch Kalksteine ersetzt worden sind. In seiner heutigen Form ist der Anbau daher eine Schöpfung des 20. Jahrhunderts.
Aus dem Jahr 1923 stammt folgende Beschreibung der Steinkammer: [5]
"Es ist ein kleiner rechteckiger Bau mit sehr steilem Dach und sechsstufigen Treppengiebeln. Die Wände bestehen aus ziemlich roh aufgemauerten Bruchsteinlagen, und nur zu den Eckbindern ist besseres Quadermaterial verwandt worden. Die schmalen, rechteckigen Fensteröffnungen an den Giebelfronten zeigen fünfgeschossigen Aufbau des Inneren an. Der einzige Schmuck besteht in der anspruchslosen Ausgestaltung der Fenstergewände und der Giebelstufen, die aus rotem Sandstein gebildet sind und sich wirkungsvoll von dem grauen Gemäuer abheben. Bei den Fenstern tragen zwei senkrechte Steinbalken als Seitenwände einen hohen Giebelstein, der teils dreieckige Form hat, teils oben spitzbogig abgerundet erscheint. Die Stufen der Giebel sind von schmalen, etwas vorstehenden Platten bedeckt, während eine gotische Vierpaßöffnung die oberste Stufe durchbricht. Mächtige Balkenlager scheiden die sehr niedrigen Geschosse des Inneren, die durch Holztreppen an der nördlichen Giebelseite in Verbindung stehen. Noch haben einige Fenster die alten, allerdings durch Rost stark mitgenommenen eisernen Verschlußläden. Die eiserne Tür, der einzige Zugang von dem anstoßenden Hause aus, wurde unbegreiflicher Weise vor einigen Jahren an den Althändler verkauft. Vom Nebenhause führt ein gewölbter Gang in den Keller, dessen Steindecke, wie ein nach oben sich öffnender Schacht zeigt, außergewöhnlich dick ist. Der Reiz des kleinen, schlichten Bauwerks liegt in seinen schlanken Verhältnissen, in dem steilen Aufstreben der Giebelfronten, das unmittelbar den Geist gotischen Strebewerks spüren läßt, und vor allem in einer charaktervollen Ehrlichkeit, in den schlichten und zurückhaltenden Schmuckformen, in der einfachen, sinnvollen Anordnung der Fenster. Die Steinkammer am Enser Tor hat wohl von jeher nur als feuersicheres Lagerhaus gedient. Sie steht noch heute in unmittelbarer Verbindung mit einem großen Fachwerk-Wohnhaus, dem sie quer vorgelagert ist."
Im Jahr 1939 wird das Steinhaus wie folgt umschrieben: [6]
"Kalksteinbau aus rohen Quadern über rechteckigem Grundriß, Giebel zur Enser Straße, Langseite zum Kat[t]hagen. Kellergeschoß, zwei Vollgeschosse, drei Dachgeschosse. Sechsstufige steile Treppengiebel über Konsole seitlich auskragend. Plattenabdeckung. Im Straßengiebel die oberste Stufe von Vierpaß durchbrochen. Rechteckige Luken, Gewände einschließlich Sohlbank gefaßt. Als Sturzsteine dreieckige Werkstücke. Die Werksteine z.T. Sandstein. Gitter aus Vierkant-Eisen, durch Schlaufenbänder verbunden. Sehr steiles Satteldach mit nahezu halbmeterdicker Bruchsteinauflage zwischen der doppelten Schalung; darüber deutsche Schieferdeckung. Inneres. Keller mit rundbogigem Tonnengewölbe. In seinem Scheitel quadratische Verbindungsöffnung zum Erdgeschoß. Unverputzter Bruchstein. Spitzbogiger Zugang mit innerem Werksteingewände. Die Obergeschosse über Balkendecken, die untere auf Mauerabsatz, die obere in Mauerlöchern auf Mauerlatte. Wände grob verputzt. Zugang zum Erdgeschoß durch hohe Türe in Schräglaibung mit rundbogigem Außengewände. Die Fenster in Schräglaibung mit flachem Dreieckabschluß. Im Erdgeschoß eine Wandnische. Eine eigentliche Dachblakenlage fehlt; zwei Lagen eingezapfter Kehlbalken."
Bis zum Abriß des Enser Tores im Jahr 1845 lag das Spukhaus unmittelbar an dessen Innenpforte sowie an der inneren Stadtmauer. Als 1866 das Hospital in den Hagen zwischen die Stadtmauerringe errichtet wurde, legte man die Innenmauer - und vermutlich auch die Zwingermauern zwischen Innen- und Außentor - in diesem Bereich auf einer Länge von rund 60 Metern nieder.
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[1] Soweit nicht anders angegeben sind alle Angaben entnommen aus: Hermann THOMAS (Bearb.), Die Häuser in Alt-Korbach und ihre Besitzer, Heft 6, Kirchplatz - Marktplatz - Enser Straße - Katthagen - Kleine Gasse, Stadtarchiv Korbach (Hrsg.) 1960, S. 63-68.
[1a] Vgl. auch: Vom dreibeinigen Hasen und dem schwarzen Schwein - Geschichten um das Korbacher Spukhaus, in: Mein Waldeck, Beilage der "Waldeckischen Landeszeitung" für Heimatfreunde, Nr. 20/2000.
[2] Hans OSTERHOLD (Bearb.), Meine Stadt - Korbacher Bauten erzählen Stadtgeschichte, Magistrat der Stadt Korbach (Hrsg.), 4. Auflage 2011, S. 20-21; vgl. auch Ursula WOLKERS (Bearb.), Korbach - Ein Rundgang durch die alte Stadt, Wilhelm Bing Verlag/Magistrat der Stadt Korbach (Hrsg.) 1999, S. 43.
[3] Zitiert nach THOMAS (wie Anm. 1), abgedruckt auch bei OSTERHOLD (wie Anm. 2); vgl. auch: Ursula WOLKERS, Ein Korbacher Original. Der Blumenchrist lebte im Keller des Willeschen Steinhauses, in: Waldeckischer Landeskalender 1994, 103.
[4] THOMAS (wie Anm. 1); Ursula WOLKERS, Der "Blumenchrist" lebte im Keller des Willenschen Steinhauses, in: Mein Waldeck, Beilage der "Waldeckischen Landeszeitung" für Heimatfreunde, Nr. 13/2006.
[5] Werner MEYER-BARKHAUSEN, Alte Städte zwischen Main und Weser: Corbach, Verlag H.W. Urspruch, Korbach 1923, S. 24-25.
[6] Wolfgang MEDDING in: Friedrich BLEIBAUM (Hrsg.), Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Kassel, Neue Folge, Dritter Band, Kreis des Eisenberges, Kassel 1939, S. 134-135.