Das Haus Nr. 7 in der Enser Straße in der Altstadt von Korbach besteht aus einem 1606 errichten Fachwerkhaus und dem um 1300 erbauten steinernen Speicherhaus, dem sogenannten Spukhaus. [1]
An der Nordostecke der Fachwerkbaus deutet der Rest einer Inschrift auf das Baujahr 1606 hin. Das Gebäude wäre damit das zweitälteste Fachwerkhaus in Korbach. Als eines der wenigen Wohnhäuser hat es den Dreißigjährigen Krieg, den Stadtbrand von 1664, spätere Brände sowie die Abriß- und Modernisierungsmaßnahmen der folgenden Jahrhunderte überstanden. [2]
1. Als erster Eigentümer ist Kaufmann Conrad (Kurt, Chord, Cunradt) von der Mühlen (~ 03.01.1602; † 1677) überliefert, Sohn des Joachim von der Mühlen, genannt Perlensticker (1574-1650). [3] Conrad von der Mühlen war verheiratet mit Maria Schumacher (1614-?), Tochter des Bürgermeisters Curt Schumacher und dessen erster Ehefrau, Magdalena Schreiber. Da der Familie Schumacher sämtliche Nachbarhäuser gehörten, nämlich die Gebäude Enser Straße 4, Enser Straße 5, Violinenstraße 24 sowie die Steinhäuser Violinenstraße 1 und Nr. 3, mag vielleicht auch das Haus Enser Straße 7 nebst Steinkammer in deren Besitz gewesen sein, so daß von der Mühlen vielleicht durch Eheschließung Eigentümer des Anwesens geworden ist. Falls es zutrifft, daß das Haus im Jahr 1606 erbaut worden ist, kann allerdings die Familie Schumacher nicht Bauherr gewesen sein, da deren Stammvater Curt Schumacher erst 1609 in Korbach wohnhaft wurde.
Conrad von der Mühlen war Bürger seit 1638, Ratsmitglied 1640, Pfennigmeister 1644, Oberbürgermeister 1647, 1649, 1653 und 1666. Wie aus den im Stadtarchiv noch vorhandenen Hexenprozeßakten hervorgeht, waren Angehörige der wohlhabenden, miteinander verwandten und verschwägerten Familien Schumacher, Wilstach und von der Mühlen/Perlensticker wiederholt Beschuldigte und Zeugen in Hexenprozessen. Im Nachbarhaus, Enser Straße 5, wohnte Maria Schumachers Halbbruder, Johann Conrad I. Schumacher, gegenüber, im Haus Enser Straße 4, ihr weiterer Halbbruder, Curt Henrich Schumacher.
2. Nachfolger im Eigentum war der Sohn von Nr. 1, Johann(es) von der Mühlen (1653-1719). Er studierte 1678 in Straßburg, später in Jena. Er unternahm Reisen nach Wien, Ungarn und Prag und trat in die Dienste des Grafen von Leiningen. Er war Syndikus der Stadt Heilbronn und wurde 1710 Syndikus in Speyer. Als Vertreter dieser Stadt nahm er am Reichstag in Regensburg teil. Sein Sohn Johann Ludwig wurde Regierungsrat und Syndikus, der Sohn Johann Heinrich trat ebenfalls in die Dienste des Grafen von Leiningen und verwaltete das väterliche Lehnsgut in Kindeheim. Von Johann von der Mühlen stammt eine umfangreiche Lebensbeschreibung. [4]
3. Durch Eheschließung mit Anna Maria Juliana von der Mühlen (* 15.07.1650; † 02.04.1717 in Mengeringhausen), Schwester von Nr. 2 und Tochter von Nr. 1, wurde im Jahre 1678 der Advocat und Procurator des Landeskanzlei Johann Stephan Wilstach (* 15.03.1647; † 13.06.1693) neuer Eigentümer des Hauses. Er war der Sohn des Dietrich Wilstach und der Anna Engela Becker. Im Jahr 1678 hatte er die Bürgerrechte erworben. Die Eheschließung erfolgte am 22. Oktober 1678.
4. Ebenfalls durch Eheschließung erwarb Johann Caspar Rothe (* um 1701 in Erda / Grafschaft Solms; † 02.01.1768) im Jahr 1726 das Anwesen, indem er Eva Elisabeth Wilstach (~ 19.03.1689; † 25.03.1768), Tochter von Nr. 3, heiratete. Rothe wohnte zunächst in Mengeringhausen, zog jedoch 1726 nach Korbach und erwarb im gleichen Jahr die Bürgerrechte. Er war Ratsmitglied 1727, Pfennigmeister 1733 und 1742 sowie Unterbürgermeister 1743, 1749 und 1750. Beruflich war er als Gold- und Silberarbeiter (Juwelier) tätig. Die Eheschließung erfolgte am 29. Mai 1721 in Mengeringhausen, wo auch die drei Kinder des Paares getauft wurden: Johanna Catharina Louyse Rothe (~ 10.04.1722) ⚭ Friedrich August Pape [OSB Mühlhausen Nr. 1594], siehe Enser Straße 2; Carl Friedrich Rothe (~ 26.01.1724) und Johannes Rothe (~ 17.09.1725). [5]
5. Im Jahr 1774 wird der Advokat und Procurater Friedrich Wilhelm Waldeck (* 22.09.1747; † 28.01.1800) neuer Eigentümer. Er war der Sohn des Stadtcommissars Tilemann Arnold Henrich Waldeck und der Margarethe Scherbaum, denen das Nachbarhaus Enser Straße 3 gehörte, in dem Waldeck aufgewachsen war. Er heiratete am 17. September 1771 Charlotte Wilhelmine Risse (* 30.11.1749; † 31.07.1817 auf Gut Schaaken), Tochter des Hofrats und Amtmanns Franz Henrich Risse und der Sophie Wilhelmine Suden. Das paar hatte 10 Kinder. Waldeck bekleidete, wie sein Vater, in den Jahren 1794-1800 das Amt des Stadtcommissars. [6]
6. 1787 kaufte Johann Henrich Tent (~ 10.04.1735; † 19.11.1790), Sohn des Metzgermeisters Ludwig Tent (Enser Straße 1b) und der Franzisca Curtze, das Haus. Er war Bürger seit 1760 und heiratete am 21. August 1761 Marie Agnetha Curtze (~ 23.11.1731; † 26.01.1771), Tochter des Johann Jost Curtze und der Anna Elisabeth Neumann. Eine zweite Ehe ging Tent am 7. Mai 1771 mit Maria Christiane Asmuth ein (~ 11.05.1749; † 18.11.1801), Tochter des Metzgermeisters Johann Wilhelm Asmuth (Tränkestraße 13) und der Maria Sophia Blume. Aus der zweiten Ehe gingen folgende Kinder hervor:
a) Maria Christiane Tent (1772-1837) ⚭ Johann Henrich Gottfried Schumacher (Oberstraße 2)
b) Marie Wilhelmine Henriette Tent (1773-1814) ⚭ I. Georg Ludwig Götte (Lengefelder Straße 10); II. Heinrich August Hofmann (Lengefelder Straße 10)
c) Friedrich Tent (1777-1833), Nr. 7
d) Henrich Christian Tent (1782-1839), Oberstraße 6
7. Erst 1803 wird der Metzgermeister Josias Friedrich Wilhelm Tent [~ 09.04.1777; † 15.02.1833), zweiter Sohn von Nr. 6, als neuer Eigentümer des Hauses eingetragen. Vielleicht verhinderten Erbstreitigkeiten eine frühere Umschreibung des Grundstücks. Er heiratete am 8. Mai 1801 Maria Henriette Hartwig [* 13.01.1777; † 28.01.1839), dritte Tochter des Bäckermeisters Henrich Christian Hartwig und der Maria Margarethe Dietrich. Marie Henriette Hartwig heiratete in zweiter Ehe am 5. Juni 1835 den Witwer Johann Anton Schädla.
8. Im Jahr 1808 erwarb der Waagemeister und Hospitalmeier Henrich Friedrich Butterweck (* 20.09.1760; † 17.02.1828) das Gebäude. Er hatte seit 1789 die Bürgerrechte inne und war der Sohn des Henrich Philipp Friedrich Butterweck und der Margarethe Elisabeth Leye.
9. Schon 1814 wechselte erneut der Eigentümer: Ferdinand Großkurth, Oeconom und Conductor (Pächter) von Gut Meineringhausen, verheiratet mit Charlotte Bunnemann, kaufte das Anwesen. Dessen Sohn, Hermann Großkurth, war von 1881 bis 1901 Eigentümer des Hauses Lengefelder Straße 13.
10. 1816 kaufte der Bäckermeister Johann Henrich Christian Schmale (* 19.07.1794; † 29.11.1853) das Haus. Er war der Sohn des Bäckermeistes Johann Henrich Schmale und der Johannette Friederike Limperg. Er erwarb 1815 die Bürgerrechte und wird zum Jahr 1823 als Dechant der Gilde genannt. Er heiratete am 21. August 1815 die Witwe seines Bruders, Johannette Friederike Curtze (~ 12.01.1781; † 28.12.1863), Tochter des Pfennigmeisters Henrich Wilhelm Curtze und der Johannette Luise Meier. Johannette Friedrike Curtze war in erster Ehe verheiratet mit dem Bäckermeister August Friedrich Schmale, dem Vater der Juliane Henriette Lousie Schmale (Nr. 11). Henrich Schmale war durch den Tod seines Bruders im Jahr 1815 in Besitz des Hauses Enser Straße 1a gelangt, das er jedoch im darauffolgenden Jahr veräußerte, um das vorliegende Haus zu erwerben.
11. Durch Eheschließung wurde im Jahr 1835 der Schreinermeister Henrich Wilhelm Wille (* 10.01.1800; † 01.01.1846), Sohn des Bauinspektors Henrich Wilhelm Wille und der Henriette Caroline Leye, neuer Eigentümer. Er erwarb 1834 die Bürgerrechte und heiratete am 31. März desselben Jahres Juliane Henriette Louise Schmale (* 04.09.1808; † 19.09.1884), Tochter des Bäckermeisters August Friedrich Schmale und der Johannette Friederike Curtze. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor: Nr. 12 und Johanette Caroline Friederike Wilhelmine Wille (* 09.03.1841; † 24.11.1920), die Wilhelm Schreiber (Stechbahn 19) heiratete. Juliane Henriette Louise Schmale heiratete in zweiter Ehe am 28. Mai 1847 den Silberarbeiter und Kaufmann Johann Carl August Saake. Juliane Henriette Louise Schmale war die Tochter bzw. Stieftochter des Ehepaares Henrich Schmale/Johannette Friedrike Curtze (Nr. 10).
12. 1866 wird der Schreinermeister Carl Heinrich Wilhelm Wille (* 28.04.1839; † 14.07.1924), Sohn von Nr. 11, als neuer Eigentümer geführt. Er heiratete am 1. September 1867 Johannette Wilhelmine Friederike Emilie Theobald (* 10.04.1830; † 10.04.1903), Tochter des Schuhmachers Johann Georg Theobald und der Johanna Christiane Friederike Müller. Das Paar starb kinderlos.
13. Im Jahr 1916 erwarb der Landwirt Wilhelm Fritz Carl Martin Wille (* 14.04.1886; † 24.01.1948), ein entfernter Verwandter von Nr. 12, das Haus. Er war der Sohn des Landwirts Carl Heinrich Wilhelm Wille und der Caroline Conradine Marie Luise Meier. 1922 heiratete er in Strothe Emilie Knoche (* 23.02.1896; † ?), Tochter des Landwirts Friedrich Knoche in Strothe und der Berta Jäger (Strothe-Redhof).
14. 1948, nach dem Tod von Fritz Wille, ging das Eigentum auf die Erbengemeinschaft Wille über, nämlich auf die Witwe und den Sohn (* 24.06.1927) von Nr. 13.
In den 1950er Jahren wurde die von der Familie Wille betriebene Landwirtschaft in die Feldmark ausgesiedelt. Seitdem steht das Gebäude im Eigentum der Stadt Korbach.
1881 wurde in dem Haus die erste Kleinkinderschule der Stadt untergebracht. Gründer war der Corbacher Frauenverein unter dem Vorsitz von Frl. von Hanxleden, Frl. Lina Waldeck und Frau Adelheid Vesper. Die jährliche Miete für die Räume im Hause Wille betrug 120 Mark. Anfangs übernahmen Bielefelder Schwestern die Betreuung, seit 1885 Waldeckische Diakonissen. Zweck dieser Einrichtung war nach deren Satzungen bis zu 65 Kinder im Alter von 3-6 Jahren hier zu pflegen, um sie vor Verwahrlosung und Unart zu schützen. Auch sollten die arbeitenden Mütter dadurch entlastet werden. Die Betreuungszeit war täglich von 8.00 Uhr bis 12.30 Uhr und 13.00 bis 16.00 Uhr, außer Mittwoch- und Sonnabendnachmittag. Das Schulgeld betrug je nach Steuerklasse 25, 50 oder 75 Pfennige. Kinder armer Leute konnten auf Antrag davon befreit werden. Die Restfinanzierung übernahm die Stadt Korbach. Die Schule stand unter dem Protektorat der Fürstin Helene und hieß zeitweise auch "Paulinenschule". Weihnachten wurden die Kinder beschert und im Sommer feierte man mit Kaffee und Brezeln ein Schulfest im "Hagen". Eine neue "Spielschule" wurde 1887/88 in der Tränkestraße errichtet, später Rot-Kreuz-Station.
Im Jahr 1939 wurde das Haus wie folgt beschrieben: [7]
"Prächtiges Wohnhaus. Dreigeschossig, Fachwerk. Obergeschoß und Giebel stark vorgekragt. Quergebälkprofil großer Viertelstab mit reich geschnitztem Taugeflecht- und Zopfbandornament mit Perlschnüren. Eckpfosten mit gedrehten Säulchen, im Erdgeschoß auch Rollwerkornament, 8 x 12 Gefache. Satteldach mit S-Pfannen. Haustür ursprünglich an Giebelfront, kürzlich an Traufenseite zur Straße versetzt. An Giebelseite-Erdgeschoß Rest einer Inschrift "GEBAWET 1606". An südwestlicher Giebelfront anstoßend und zugehörig alte Steinkammer mit gotischen Treppengiebel."
Zum Zeitpunkt dieser Beschreibung (1939) befand sich die Haustür mithin bereits an der Straßenseite. Der entsprechende Umbau wurde vermutlich in den 1930er Jahren durchgeführt.
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[1] Soweit nicht anders angegeben sind alle Angaben entnommen aus: Hermann THOMAS (Bearb.), Die Häuser in Alt-Korbach und ihre Besitzer, Heft 6, Kirchplatz - Marktplatz - Enser Straße - Katthagen - Kleine Gasse, Stadtarchiv Korbach (Hrsg.) 1960, S. 63-68. Falls nicht anders vermerkt, sind alle genannten Personen in Korbach geboren und gestorben bzw. begraben.
[2] Hans OSTERHOLD (Bearb.), Meine Stadt - Korbacher Bauten erzählen Stadtgeschichte, Magistrat der Stadt Korbach (Hrsg.), 4. Auflage 2011, S. 30, ist der Ansicht, das Haus müsse beim Stadtbrand von 1664 stark in Mitleidenschaft gezogen worden sein, man habe aber offenbar einen Teil des Gebälks beim Wiederaufbau verwenden können. Hierfür gibt es jedoch keine Anhaltspunkte. Der Brand entstand in dem rund 70 Meter entfernt liegenden Haus Stechbahn 36 und breitete sich infolge Südwindes nach Norden aus, während der Südteil der Altstadt verschont wurde.
[3] Martin RUDOLPH (Bearb.), Korbacher Bürgerfamilien - Die Nachkommen des Korbacher Bürgermeisters Curt Schumacher, 1585-1660, Stadtarchiv Korbach (Hrsg.) 1976, S. 11; vgl. auch Wolfgang MEDDING, Korbach - Die Geschichte einer deutschen Stadt, 2. Auflage, Korbach 1980, S. 227.
[4] Alle Angaben zu Johann von der Mühlen aus: Helmut NICOLAI/Wilhelm HELLWIG/Ingeborg MOLDENHAUER (Bearb.), Waldeckische Wappen - Beiträge zur Familiengeschichte, Teil 3 - Wappen der waldeckischen Städte und Großgemeinden, Familienwappen und Hausmarken, Waldeckischer Geschichtsverein (Hrsg.), Arolsen 1991, S. 290 (von der Mühlen).
[5] Alle Angaben bzgl. Mengeringhausen aus: Herbert VOIGT/Christian MEUSER (Bearb.), Waldeckische Ortssippenbücher, Band 89, Mengeringhausen, Waldeckischer Geschichtsvereins e.V. (Hrsg.), Bad Arolsen 2014, S. 467, Nr. 6184.
[6] Hermann STEINMETZ (Bearb.), Die Stadtcommissare in Korbach, Stadtarchiv Korbach (Hrsg.) 1954, S. 42-44.
[7] Wolfgang MEDDING in: Friedrich BLEIBAUM (Hrsg.), Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Kassel, Neue Folge, Dritter Band, Kreis des Eisenberges, Kassel 1939, S. 136.