Das sogenannte Mosheimsche Haus, Professor-Kümmell-Straße 15 in Korbach, war ein Ende des 17. Jahrhunderts errichtetes und 1968 abgerissenes Fachwerkhaus in der Altstadt von Korbach.
Während der Giebel zur Stechbahn gerichtet war, erstreckte sich die Fassade der westlichen Traufseite an der Professor-Kümmell-Straße. Im Osten grenzte das Gebäude an das Rathaus, im Norden an das ebenfalls 1968 entfernte Haus Professor-Kümmell-Straße 13. Seit 1970 befindet sich an der Stelle der Vorplatz des Rathausneubaus.
1. Der Vorgängerbau gehörte dem Woll- und Tuchhändler Dietrich Wilstach. [1] Über den Vorgängerbau und seine früheren Eigentümer ist nichts weiter bekannt. Beim großen Stadtbrand von 1664 brandte Wilstachs Haus nieder. Der Nachfolgebau wurde Ende des 17. Jahrhunderts errichtet, das genaue Baujahr ist unbekannt. Ob Wilstach den Bau noch selbst veranlaßt hat oder seine Hinterbliebenen die Bauherren waren, ist ebenfalls nicht überliefert. In den Katastern der Stadt wurde es unter der Bezeichnung "Das Wilstachsche Haus" geführt. Der Familie Wilstach gehörte auch das angrenzende Gebäude Nr. 13.
2. Im Jahr 1702 ging das Eigentum an dem Haus Nr. 15 auf Dietrichs Sohn, Wilhelm Theodor Wilstach, über. Das Gebäude blieb bis 1736 im Eigentum der Familie Wilstach.
3. Im Jahre 1737 wurde das Haus von der Frau Geheimrätin Dorothea Eleonore von Rauchbar, geborene von der Sachsen (25. Juli 1698 in Molsdorf/Thüringen; † 16. Juni 1775 in Korbach), erworben. Sie war die Tochter des Rudolf von der Sachsen, Hofmeisters zu Arolsen, und der Regina Sybille von Dennstadt. Seit dem 14. November 1715 war sie verheiratet mit dem Geheimen Rat und Hofmeister Carl Gottfried von Rauchbar, Sohn des gräflich-waldeckischen Regierungs- und Konsistorialrats von Rauchbar und der Elisabeth Charlotte von Vietor. [1a] Nach dem Tod ihres Mannes ging Dorothea Eleonore von Rauchbar am 7. Juli 1739 eine zweite Ehe ein mit Theodor von Huyssen, Drost des Amtes Eisenberg und Geheimer Regierungsrat ein (* 9. od. 19. März 1697; † 17. Februar 1751), Sohn des Arnold von Huyssen und der Maria Juliane Judenhertzog.
4. Etwa 1775 ging das Eigentum an dem Haus auf die Tochter des vorgenannten Paares, Wilhelmina Eleonore Charlotte Marie von Huyn, über (* 11. März 1734 in Korbach; † 5. März 1792 ebenda). Sie war seit dem 14. August 1753 mit dem hessischen Hauptmann Johann Christoph von Huyn (* 3. Juli 1718 in Niederbeisheim) verheiratet, der am 25. Juli 1780 als General der englisch-hessischen Hilfstruppen in New York starb. Deren Tochter Sophie Eleonore Maria brachte das Haus am 4. Mai 1784 in die Ehe mit dem hessischen Major Friedrich Carl Ludwig von Hanxleden (* 19. November 1744 in Gershausen bei Braunau; † ... Januar 1815) ein, der seit diesem Zeitpunkt als neuer Eigentümer geführt wird.
5. Hanxleden veräußerte das Gebäude bereits 1793 an den Hofrat und Landrichter des Amtes Eisenberg, Carl Christian Schuchard (* 5. März 1755 in Arolsen; † 5. Oktober 1799 in Korbach), Sohn des Regierungs- und Konsistorialrats Friedrich Christoph Schuchard und der Maria Dorothea Ley. Carl Christian Schuchard heiratete am 30. Oktober 1787 in Arolsen die Henriette Sophie Speirmann (* 2. Oktober 1754 in Niederbeisheim; † 1789), Tochter des Secretarius und Registrators Speirmann. Nach deren Tod ging Schuchard am 1. September 1790 eine zweite Ehe mit Ch. Henr. Wilh. Friederike Rube (* 25. Dezember 1773 in Korbach; † 4. April 1848 ebenda) ein, Tochter des Forstsecretärs Christoph Ludwig Rube und der Christiane Wilhelmine Schumacher. Letztere war eine Ururenkelin des ersten Eigentümers Dietrich Wilstach. Das Haus blieb fast 60 Jahre in Familienbesitz.
6. Im 19. Jahrhundert wechselten die Eigentümer in rascher Reihenfolge. 1849 erwarb das Haus der Kaufmann und Weißgerbermeister Ernst August Emmerich (* 12. August 1825; † 21. Mai 1877), ältester Sohn des Weißgerbermeisters Friedrich Emmerich und der Sophie Christiane Krummel. Er war seit dem 9. April 1849 verheiratet mit Maria Friederike Johanette Schlömer (* 27. Dezember 1827; † 30. Januar 1906), Tochter des Schreinermeisters und Hospitalmeiers Friedrich Wilhelm Schlömer und der Maria Christine Stockhausen. Später bewohnte er das Stammhaus der Familie Emmerich in der Klosterstraße Nr. 19 in Korbach.
7. Schon 1858 wurde der Obergerichtsrat und Hofrat in Korbach, August Rhoden (* 29. Oktober 1782 in Rhoden; † 10. April 1873 in Korbach) neuer Eigentümer. Er war der Sohn des Amtmanns Johann Gottfried Rhode und der Catharina Elisabeth Weber. Am 18. November 1810 hatte er in Arolsen die Julie Hagemann (* 16. September 1791 in Arolsen; † 29. Januar 1864 in Korbach), Tochter des Geheimrats Wilhelm Hagemann in Arolsen, geehelicht.
8. Im Jahr 1863 ging das Eigentum auf den Kaufmann Erwin Heiner über, geboren in Niederense als Sohn des Pfarrers Friedrich Philipp Albert Heiner und der Henriette Louise Köhler aus Korbach. Heiner war seit dem 26. Dezember 1858 mit Henriette Adele Präger aus Bremen (* 19. Februar 1837 in Bremen) verheiratet, die jedoch bereits am 16. Juli 1861 verstarb. Im Jahr 1863 ging er mit einer Frau Polz eine zweite Ehe ein und verzog später nach Frankfurt am Main.
9. Von ihm erwarb das Haus 1870 der jüdische Kaufmann Selig Lebach (* 28. März 1839 in Adorf), Sohn des Handelmanns Gottschalk Lebach und der Lea Weiler aus Adorf. Er betrieb in dem Gebäude eine Lederwarenhandlung und heiratete am 10. Februar 1875 in Kassel die Minna Salberg, Tochter des Michael Salberg aus Eimelrod und der Julie Stern aus Obermarsberg. Mit ihr hatte er den am 11. November 1875 in Korbach geborenen Sohn Gustav Lebach.[2]
10. Selig Lebach veräußerte das Haus im Jahr 1882 an den jüdischen Kaufmann Samuel (genannt Sally) Mosheim (* 30. Juni 1853 in Korbach; † 10. November 1922 ebenda), Sohn des Handelsmanns Levi Mosheim (* 9. Mai 1812 in Korbach, † 1. August 1887 ebenda) und der Kränchen (gen. Caroline) Katz aus Mandern (* 7. August 1832 in Mandern; † 21. August 1889 in Korbach). In dem Haus richtete Mosheim mit seinem Schwager Levi Isenberg, der 1890 in die USA auswanderte, eine Baustoff- und Eisenwarenhandlung ein, die in der Folgezeit zu den führenden Geschäften dieser Branche gehörte. Mosheim erwarb 1897 auch das Nachbarhaus Professor-Kümmell-Straße 13. Seit dem 18. Dezember 1882 war er mit der Johann Stern aus Kirchhain verheiratet, Tochter des Kaufmanns Baruch Stern I und der Sannchen Katz aus Kirchhain. Mit ihr hatte er vier Kinder: Edmund (* 5. November 1883 in Korbach, verschollen nach 1942 im KZ Ausschwitz), Paula (* 18. Januar 1885 in Korbach; verschollen nach 1942 im KZ Theresienstadt); Carl (* 7. April 1886 in Korbach; † 3. April 1979 in Hollywood - war bereits 1905 in die USA ausgewandert) und Ludwig (* 27. April 1891 in Korbach; verschollen im KZ Theresienstadt).[3]
11. Nach Sally Mosheims Tod im Jahr 1922 ging das Eigentum auf die Brüder Edmund und Ludwig Mosheim über, die das Geschäft unter der alten Firmierung weiterführten, bis sie es 1938 aufgeben mußten.
12. Seit dem Jahr 1942 ist die Stadt Korbach Eigentümer des Gebäudes. In Anwesenheit eines zur Beurkundung bestellten Beamten wurde im Oktober 1941 zwischen der Stadt Korbach und den Brüdern Mosheim ein Kaufvertrag über das Grundstück abgeschlossen. Die Kaufsumme wurde auf ein Sperrkonto einer Devisenbank überwiesen, über das nur mit Genehmigung der zuständigen Devisenstelle beim Oberfinanzpräsidenten in Kassel verfügt werden konnte. Die Brüder Mosheim mußten, wie alle jüdischen Eigentümer, ihr Haus im Rahmen der "Arisierung" unter Marktwert verkaufen.[4] Die Stadt Korbach richtete im Erdgeschoß und im ersten Stock Büroräume ein, die oberen Stockwerke wurden vermietet.[5]
Am 28. Oktober 1968 wurde das Gebäude abgerissen, um Platz für den Erweiterungsbau des Rathauses zu schaffen.[6] Eine im Dezember 2010 am Rathausneubau angebrachte Gedenktafel für die Familie Mosheim beinhaltet keine Informationen über die Umstände und Bedingungen des Erwerbs des Hauses durch die Stadt.[7]
[1] Hermann THOMAS (Bearb.), Die Häuser in Alt-Korbach und ihre Besitzer, Heft 1, Professor-Kümmell-Straße und Klosterstraße, Stadtarchiv Korbach (Hrsg.) 1956, S. 29-30. Alle folgenden Informationen sind, soweit nicht anders angegeben, dieser Fundstelle entnommen.
[1a] Vgl. zu Carl Gottfried und Dorothea Eleonore von Rauchbar auch die zahlreichen erhalten gebliebenen Akten über Rechtsstreitigkeiten der Familie bei: Reinhard KÖNIG (Bearb.), Repertorien des Hessischen Staatsarchivs Marburg, Waldeckische Regierung, Bestand 121, 1706-1867 mit Vorakten ab 1476, Band 1, Marburg 1981, S. 307-310.
[2] Karl WILKE (Bearb.), Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Korbach, Stadtarchiv Korbach (Hrsg.) 1993, S. 149.
[3] WILKE (wie Anm. 2). Zum Schicksal der Eheleute Edmund und Henriette Mosheim vgl. auch Andreas HERMANN, An der Endstation des Lebens - Mehr als eine Million Juden in Ausschwitz ermordert - Korbacher unter den letzten Opfern, in: Hessische Allgemeine, Ausgabe Nr. 22/2015 vom 27.01.2015.
[4] Marion MÖLLER, Am Ende stehen Vernichtung und Tod, Serie: Spuren jüdischen Lebens in Korbach: Die Familie Mosheim, in: Mein Waldeck, Beilage der Waldeckische Landeszeitung für Heimatfreunde, Nr. 11/2008 vom 30. Mai 2008.
[5] THOMAS (wie Anm. 1). S. 29.
[6] Wilhelm HELLWIG (Bearb.), Chronik der Stadt Korbach, Band 1, 1960-1969, Stadtarchiv Korbach (Hrsg.) 1980.
[7] Vgl. Waldeckische Landeszeitung vom 17.12.2010: Gedenken an Familie Mosheim - Tafel am Rathaus erinnert an jüdische Opfer der NS-Zeit; Hessisch-Niedersächsische Allgemeine vom 17.12.2010: Eine Tafel für die Ewigkeit - Am Korbacher Rathaus erinnert jetzt ein Schild an die jüdischen Familien Mosheim.